Die Private Sammlung:
Zeitgenössische Literatur zwischen Kontextualisierung und Vereinzelung
Walter Benjamins Reflexion „Ich packe meine Bibliothek aus“ beschreibt nicht nur die jeder Sammlung eigene Dialektik der Selektion und Zusammenfügung von Texten, sondern – in Analogie – auch das Wechselspiel von Vereinzelung und Kontextualisierung im Gestus des Schreibens selbst. Im Moment des Auspackens, in dem sich die private, zusammengefügte Ordnung der Bibliothek im paradoxen Zustand eines Umzugs, einer Reise oder des Exils –jedenfalls im Modus der Mobilität und des Vorläufigen befindet – manifestieren sich an der in einem neuen Kontext wahrgenommenen Materialität der Bücher auch neu reflektierte und erzählte Erinnerungen und Geschichten. Dabei schafft der private Raum, der trotz Mobilität und Vorläufigkeit durch die Erinnerung an die Aneignungsgeschichten der Bücher entsteht, eine andere gedankliche Ordnung, in der ein eigenes Sprechen und Schreiben beginnen kann.
Der Vortrag analysierte Mobilität und Virtualisierung als Konditionierungen und Gelingensbedingungen der zeitgenössischen Literatur. Sie stehen nur scheinbar im Gegensatz zum Raum der Sammlung in deren Materialität, sondern machen vielmehr die in Benjamins „Ich packe meine Bibliothek aus“ sichtbar werdende Dialektik von Kontextualisierung und Kontextflucht – Öffentlichkeit und Vereinzelung – deutlich. Es zeigt sich, dass auch in den Schreibverfahren der Gegenwart die Spannung zwischen intertextuellen Verweisungen im Sinne der Sammlung und einer ubiquitären Ästhetisierung der Lebenswelten offen bleibt.
Ort / Zeit: Autorschaft und Bibliothek: Sammlungsstrategien und Schreibverfahren, Internationale Tagung, Klassik Stiftung Weimar, 8. bis 10. November 2016 Mehr >>
Ehrenpromotion für Felicitas Hoppe
Audio/VideoDie Leuphana Universität Lüneburg verlieh der Büchnerpreisträgerin und unzählige Male ausgezeichneten Autorin Felicitas Hoppe 2016 die Ehrendoktorwürde. Es stand also kein weiterer Preis auf dem Programm, auch keine Poetikvorlesung, kein Talk, kein Auftragswerk, keine PR-Tour für ein neues Buch. Es ging schlicht und einfach um Würde und Ehrung. Aber Wie ehrt man richtig? Noch dazu eine Schriftstellerin, die selbst über die Fragen der Ehre und Würde in ihren Werken gern reflektiert. Wir entschieden uns für eine Disputation ….
Felicitas Hoppe / Ulrike Steierwald: Wie ehrt man richtig? Laudatio und Dank. Anlässlich der Verleihung der Ehrenpromotion an Felicitas Hoppe, dies academicus am 6.7.2016. Leuphana Universität Lüneburg
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Klassik Stiftung Weimar: Autorschaft
Vorträge & VeranstaltungenDie Private Sammlung:
Zeitgenössische Literatur zwischen Kontextualisierung und Vereinzelung
Walter Benjamins Reflexion „Ich packe meine Bibliothek aus“ beschreibt nicht nur die jeder Sammlung eigene Dialektik der Selektion und Zusammenfügung von Texten, sondern – in Analogie – auch das Wechselspiel von Vereinzelung und Kontextualisierung im Gestus des Schreibens selbst. Im Moment des Auspackens, in dem sich die private, zusammengefügte Ordnung der Bibliothek im paradoxen Zustand eines Umzugs, einer Reise oder des Exils –jedenfalls im Modus der Mobilität und des Vorläufigen befindet – manifestieren sich an der in einem neuen Kontext wahrgenommenen Materialität der Bücher auch neu reflektierte und erzählte Erinnerungen und Geschichten. Dabei schafft der private Raum, der trotz Mobilität und Vorläufigkeit durch die Erinnerung an die Aneignungsgeschichten der Bücher entsteht, eine andere gedankliche Ordnung, in der ein eigenes Sprechen und Schreiben beginnen kann.
Der Vortrag analysierte Mobilität und Virtualisierung als Konditionierungen und Gelingensbedingungen der zeitgenössischen Literatur. Sie stehen nur scheinbar im Gegensatz zum Raum der Sammlung in deren Materialität, sondern machen vielmehr die in Benjamins „Ich packe meine Bibliothek aus“ sichtbar werdende Dialektik von Kontextualisierung und Kontextflucht – Öffentlichkeit und Vereinzelung – deutlich. Es zeigt sich, dass auch in den Schreibverfahren der Gegenwart die Spannung zwischen intertextuellen Verweisungen im Sinne der Sammlung und einer ubiquitären Ästhetisierung der Lebenswelten offen bleibt.
Ort / Zeit: Autorschaft und Bibliothek: Sammlungsstrategien und Schreibverfahren, Internationale Tagung, Klassik Stiftung Weimar, 8. bis 10. November 2016 Mehr >>
Herta Müller – Gegenwartsliteratur
Vorträge & VeranstaltungenHERTA MÜLLERS POETOLOGIE DER BILDLICHKEIT IM SPANNUNGSVERHÄLTNIS VON ÄSTHETIK UND POLITISIERUNG
Tagung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 11. – 13. Februar 2015 im Kloster Bronnbach
Wie positionieren sich Herta Müllers literarische Texte, die von einer stupenden Bildlichkeit und nach ihrer eigenen Poetologie „vom Schweigen“ gelernt sind, im zeitgenössischen öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs? Warum steht eine Autorin, die sich explizit nicht als öffentliche Person sehen möchte und ihre Literatur als „erfundene Wahrnehmung“ bezeichnet, immer wieder im Zentrum des öffentlichen Redens und Schreibens über die komplexe Relation von Ästhetik und Politik? Mein Vortrag analysiert Beispiele, die die aus dieser Widersprüchlichkeit resultierende Schwierigkeit einer Positionierung aufzeigen (Nobelpreisverleihung 2009, Podiumsgespräch mit Ai Weiwei auf der lit.Cologne 2010, Podiumsgespräch „Wie viel moralischen und politischen Kredit hat die Literatur zu vergeben?“ DLA Marbach 2011 u.a.). Herta Müllers literarische Texte wie auch ihre Poetologie oszillieren im Spannungsverhältnis von Inszenierung und Dekonstruktion. Ihre Skepsis gegenüber den politischen Implikationen des literarischen Diskurses wehrt sich gegen die Mechanismen des Funktionierens, des in den Dienst Nehmens der Sprache. Mit dieser Ästhetik erfüllt Herta Müllers Literatur nicht nur die seit mehr als zwei Jahrzehnten virulenten literaturtheoretischen Paradigmen einer Poetologie der Körper und Bilder, sie trifft sich hierin auch mit anderen Autorinnen und Autoren der Gegenwart. Mein Vortrag zeigt, dass Müllers Texte einerseits die Ambivalenz der Sprache umkreisen, andererseits – sobald sie in die mediale Öffentlichkeit eintreten – selbst auf einem schmalen Grat ausgesetzt sind, der zwischen Relevanz und Vereinnahmung, Inszenierung und Funktionalisierung, Individuation und Dekonstruktion verläuft. Insofern entsprechen sie einerseits heutigen Wertungskriterien der Literaturwissenschaft und Kulturtheorie, verweigern sich aber andererseits immer wieder einer Systemkonformität und damit Positionierung. >> Veröffentlicht
Philologie und normativer Diskurs
Vorträge & VeranstaltungenTANDEM: LITERATURWISSENSCHAFT UND WISSENSSOZIOLOGIE
Interdisziplinäre Tagung, Hannover, Schloss Herrenhausen, 2015
Während sich eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Philologie seit längerer Zeit den produktions- und rezeptionsästhetischen Implikationen des Bewusstseins und seiner sprachlichen Projektionen zugewandt hat, fokussiert komplementär die Wissenssoziologie die sprachlich-symbolische Verfasstheit von Kultur und Gesellschaft. Der Vortrag beleuchtet aus dieser zweifachen Perspektive zeitgenössische ästhetische und alltagskulturelle Produktions- und Lesarten am Beispiel der gesellschaftlichen Diskurse „Bildung“ und „Nachhaltigkeit“. Ihre Kernkonzepte werden als zu analysierende und zu deutende Imaginationen aufgefasst.
Die bisherige Zurückhaltung der Philologien gegenüber den aktuell so wirkungsmächtigen Sozialisationsinstanzen der Bildungs- und Nachhaltigkeitsdiskurse liegt weniger daran, dass sie Alltagskulturen repräsentieren, sondern dass sie explizit bzw. sehr offensichtlich von gesellschaftlich-normativen Vorgaben geprägt sind, die die Gefahr bergen, den wissenschaftlichen Blick selbst unter Ideologieverdacht geraten zu lassen. Wirkungsmächtig sind beispielsweise für die „Nachhaltigkeit“ das Dispositiv der Bewahrung, für die „Bildung“ das der Entwicklung, also zwei auch mit gegenwärtigen politischen und ökonomischen Diskursen eng verschränkte Normalismen. Eine Philologie, die zumindest auch auf Relevanz in der zeitgenössischen Kultur zielt, kann dort ansetzen und sich bei ihrer Analyse auf eine erneuerte, produktions- und rezeptionsästhetisch ausgerichtete Methodologie des Verstehens stützen. Im Bewusstsein für die implizit immer schon wirksamen normativen Dispositive – auch der eigenen Wissenschaft – könnte so in der Entwicklung aktuell relevanter Fragestellungen auch eine Vermittlungsfunktion für unterschiedliche kulturwissenschaftliche Disziplinen eigenommen werden. Mehr