Leuphana Universität Lüneburg, WS 2024/25

Die Moderne(n) der deutschsprachigen Literaturgeschichte (Vorlesung)

Heute, am Ende der kulturgeschichtlich so überschaubaren „Gutenberggalaxis“ (16.-20.Jhdt.) und in der absehbaren Endlichkeit des Anthropozän, ist die als „Moderne“ sich verstehende Geschichte eines der besten systematisch-wissenschaftlichen Beschreibungsinstrumente des europäischen, neuzeitlichen Denkens. In dieser Vorlesung werden dabei die Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen deutschsprachiger Literatur in der Kulturgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts anhand einzelner Geschichten veranschaulicht und dabei nicht zuletzt die auch heute wirksamen politischen, ökonomischen Machtansprüche des Innovativen, Neuen, Progressiven, Revolutionären bzw. der Tradition, Konservierung, Bewahrung und Nachhaltigkeit reflektiert.

Real Humans and KI: Tier-Mensch-Maschine (Seminar)

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Sie ist hundertprozentig durch Sprache bestimmt und kommunizierbar. Selbst bilderkennende und –gebende Verfahren sind sprachlich programmiert. Diese, nur scheinbar einfache, Tatsache wird in den aktuellen Diskussionen meist übersehen oder verdrängt. Sie drehen sich um Spekulationen über die weiteren technischen Entwicklungen und ihre kritischen oder affirmativen Bewertungen. Vermeintlich geklärt scheint dabei auch die Frage nach dem spezifisch „Menschlichen“ im Vergleich zum „Künstlichen“ – man gebe nur die Frage „Was ist spezifisch für den Menschen im Vergleich zur KI?“ in ChatGPT ein, und das System sichert dem:der Fragenden sofort seine Einzigartigkeit zu ;-)
In diesem Seminar stehen Fragen nach den grundlegenden sprachlich-anthropologischen Aspekten der hochleistungsstarken, maschinell- digitalen Intelligenz im Mittelpunkt. Denn das Interessante ihrer Entwicklung liegt insbesondere in der Interaktion wie Spiegelung zum „Menschlichen“, das in keiner Weise als ein gesicherter, ethischer Maßstab angenommen werden kann. In der Kulturgeschichte der Künste wurde das Phänomen der künstlichen „Real Humans“ bereits seit Beginn der europäischen Neuzeit verhandelt, ja diese vielleicht wirklich anthropologisch zu nennende Grundproblematik findet sich auch und anders realisiert in vormodernen und außereuropäischen Kulturen.
Was lässt sich heute aus der Qualität und sich verselbständigenden Produktivität der KI für die Phänomene des Bewusstseins, des Denkens, Erlebens, leiblichen Empfindens, insbesondere aber für den (historischen?) Anspruch des Menschen auf Selbständigkeit, Kreativität und den Begriff der Freiheit ableiten? Sind die Leistungs- und auch Bildungsziele in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Systemen, die die Optimierungsprozesse der KI ja hervorgebracht haben, vielleicht zu überdenken?
In drei Diskursfeldern (1. Das ANDERE: Sinne – Situierung – Intraaktion / 2. HELL / HAL 9000: Wahrheit – Lüge – Macht / 3. KÖRPER: Maschinen – Digits – Leiblichkeit) werden wir uns anhand von literarischen Texte und Filmen aus Geschichte und Gegenwart mit der Künstlichen Intelligenz im wahrsten Sinne des Wortes auseinandersetzen.
Diese Seminarankündigung wurde nicht durch KI produziert …

Literaturpreis(ung) live: Awarding Awards for Best Literature: Die LiteraTour Nord 2024/25 (Projektseminar/Übung) / Zusammen mit Svenja Frank

Die Lesereise um den Preis der LiteraTour Nord ist ein einmaliges Projekt von norddeutschen Kultureinrichtungen, Buchhandlungen, Universitäten und einer Stiftung (VGH). Gemeinsam laden wir fünf deutschsprachige Autor:innen ein, ihre aktuellen Romane in sieben Städten vorzustellen.
Welche dieser Neuerscheinungen am Ende der Lesereise als ‚Beste‘ ausgezeichnet wird, entscheiden das Publikum und die Jury der LiteraTour Nord.
Das projektbegleitende Seminar der Leuphana Universität steht in enger Verbindung mit der Reisestation „Lüneburg“, deren Lesungen im Literaturbüro (Heinrich-Heine-Haus) stattfinden werden. Der Wettbewerb bietet ein gesellschaftliches Forum für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur und eröffnet zugleich einen Reflexionsraum für die existenziellen wie politischen Fragen dieser „Gegenwart“.

Die LiteraTour Nord ist aber auch eines von vielen Rädern im Literaturbetrieb, die Texte selektieren, kommentieren und vermarkten. Indem wir im Seminar die Texte diskutieren, bewerten und schließlich bei der LiteraTour unser eigenes Votum über die ‚besten‘ Texte abgeben, werden wir selbst Teil dieser Kanonisierungsprozesse. Die universitäre Sicht bietet die Möglichkeit, diese Position zu reflektieren und gegenwärtige Kanonisierungsprozesse zu objektivieren.
Im Seminar werden wir deshalb auch diesen Fragen nachgehen: Was macht gute Literatur aus und wer bestimmt das? Welchen Gesetzmäßigkeiten folgt der Literaturbetrieb? Schränken Literaturkritik und Gegenwartsliteraturforschung die Freiheit der Literatur ein? Welche Grenzen und Herausforderungen ergeben sich für die wissenschaftliche Erschließung zeitgenössischer Literatur?
Die einzigartige Möglichkeit, sich mit Autor:innen der Gegenwart in Präsenz auseinanderzusetzen, eröffnet unterschiedliche Perspektiven. Ihre poetologischen Selbstreflexionen gewähren Einblicke in politische Standpunkte, ästhetische Ziele und fragen nach der heutigen Aufgabe von Literatur und der Sinnhaftigkeit ihres Tuns.

„School of SURVIVAL“: Ein Labor der Zukunft

„Survival in the 21st Century“ lautet der Titel einer Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen 2024. Aber weder die hier gezeigte Gegenwartskunst, die Literatur, Performance, Video- und Ton-Installationen umfasst, noch dieses Projektband, „School of SURVIVAL“, versteht sich als pragmatisches Überlebenstraining in den durch Krisen-Wahrnehmung bestimmten „Zeitenwenden“. Wir begegnen vielmehr den das 21. Jahrhundert prägenden Phänomenen radikaler klimatischer wie geopolitischer Veränderungen, der Kriege und der Omnipräsenz digitaler AI mit kritischen, differenziert und analytischen Fragen und stellen so den wissenschaftlichen Anspruch, als Menschen weiterhin im Gespräch zu bleiben, Entscheidungsprozesse zu reflektieren und Verantwortung zu übernehmen. Ziel ist, ein Überleben in „postapokalyptischer Melancholie“ (Srećko Horvat) als gemeinschaftliche Praxis zu verstehen.