Leuphana Universität Lüneburg, Sommer 2023

Ästhetik – Rhetorik – Mimesis (Vorlesung)

Eine Einführung in die drei für die Künste konstitutiven Paradigmen wird zum Ausgangspunkt für das wissenschaftlich begründete Lesen sowie das Sprechen und Schreiben über Literatur.

Komplementär zu dieser Vorlesung des Moduls werden Wahlpflichtseminare angeboten, die die Anforderungen an das literaturwissenschaftliche Arbeiten, die Recherche, die Formulierungen erster „Forschungsfragen“ und den Aufbau und die Konzeption wissenschaftlicher Argumentation vermitteln.

Die zur Vorlesung gehörenden Wahlpflichtseminare im Sommer 2023:
Prof. Dr. Claudia Albes: Die deutsche Ballade vom Sturm und Drang bis zur Klassik
Dr. Katrin Dammann-Thedens: Literatur im Wechselspiel zwischen Bild und Schrift
Svenja Frank: Bewusstsein
Prof. Dr. Dr. h.c. Eveline Goodman-Thau: Sprache als Dialog
Birte Wiebusch: Ästhetik und Mimesis in Lessing’s „Laokoon“

Sprachbilder des Krieges 1912-1929 (Seminar)

„Auferstanden ist er, welcher lange schlief,“ – so beginnt Georg Heyms Gedicht Der Krieg im Jahre 1912. Es wurde zu einer Ikone expressionistischer Lyrik und zu einer Vision des Ersten Weltkrieges „avant la lettre“, d.h. zu einem treffenden, nicht hintergehbaren Sprachbild der durch nationalistische, kolonialistischen wie ökonomische Interessen angetriebenen und lebensvernichtenden Exzesse der Gewalt. Die Denkfigur der Auferstehung und Reaktivierung einer im (aufgeklärten) Europa latent immer präsenten, systemisch wirksamen wie physisch-vitalen Zerstörungsmacht trifft auch das Phänomen des gegenwärtigen Krieges besser als das einer „Zeitenwende“. Die Logik des Angriffskrieges gegen die Ukraine reaktiviert sprachliche wie technologische Waffen-Bestände des 20. Jahrhunderts. In der kulturkritischen Reflexion des aktuellen Geschehens werden daher in diesem Seminar die vor hundert Jahren wirkmächtigen Sprachbilder aufgedeckt und analysiert. Dabei stehen die zwischen 1912 (Der Krieg, s.o.) und 1929 (Im Westen nichts Neues, Erich Maria Remarque) in der Literatur wirksam werdenden Diskurse im Fokus.
Auffallend ist, dass im März 2023 die populäre Neuverfilmung von Remarques ambivalentem Anti-Kriegsroman (2022, Regie: Edward Berger, für neun Oscars nominiert) vier der begehrten Hollywood-Trophäen gewann. In der Spannweite zwischen kriegsverherrlichender und pazifistischer Literatur ist kritisch nach verdeckten Strategien zu fragen, die den Krieg, wenn nicht verherrlichen, so doch letztlich kommensurabel und „gesellschaftsfähig“ machen. Aber die Tötung von Millionen Menschen und die unvorstellbare Gewalt und Brutalität der Zerstörung, die sich im Ersten Weltkrieg entlud, sind nicht mittels beschreibender oder erzählender Abbildungen zu fassen. Nach einem einführenden Überblick zur Kulturgeschichte dieses Krieges und zur Literatur der 1910er und 1920er Jahre stehen daher Lektürebeispiele im Mittelpunkt, die die inkommensurablen Momente des Schocks, der Verluste, Verletzungen und Traumata erfahren lassen. Denn sie sind keine Folgen des Krieges, sondern seinem Erleben unwiderruflich eingeschrieben. Die Seminarlektüre konzentriert sich auch und insbesondere auf Texte jenseits der dominierenden, männlich geprägten Diskurse, die die „Schlachtfelder“ in den 1910er und 20er Jahren beherrschten. Es geht um das epistemologische wie ästhetische Potential einer Dichtung, die in ihrer Sprachbildlichkeit die Fragen nach dem Zur-Sprache-bringen des Unsagbaren offenhält.

Die Komplexität des Bösen (Seminar)

„Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?“, fragt Danton in Georg Büchners 1835 erschienenem Drama. Die Texte und Filme dieses Seminars beantworten Dantons Frage nicht, sondern kreisen gerade um die Verweigerung des Bösen, sprachlich gefasst zu werden. Wir konzentrieren uns mit Büchners „Dantons Tod“ und Schillers „Die Räuber“ auf zwei Krisen-Texte der Aufklärung, in denen das „Böse“ nicht in fiktionalen Projektionsfiguren – in Zombies, Vampiren, Werwölfen oder anderen „Monstren“ – externalisiert und damit gebannt ist. Stattdessen brechen in den Dialogen und Monologen dieser Dramen Reflexionen und Erinnerungen als unabschließbare Selbsterklärungsversuche auf. Die Narrative des Bösen entstehen in Konfrontation mit dem, was sich der abschließenden Erklärung und Kompensation verweigert. Mit den Lektüren zu den philosophischen und historischen Fragen (Arendt, Alt, Ricoeur, Theweleit u.a.) werden Grundlagen für die Annäherung an ein das komplexe Thema gelegt. In der zweiten Hälfte des Semesters stehen zwei Filme des späten 20. Jahrhunderts, „The Silence of the Lambs“ (Jonathan Demme) und „Shining“ (Stanley Kubrick), auf dem Programm. Sie werden auf Historizität, Kontinuitäten und Ästhetik der Narrative des Bösen hin befragt.