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Ulrike Steierwald spricht in der Reihe „10 Minuten Lyrik“ zu Hanne Darbovens Schreiben „October, 19, 1973, amburgberg“ und verbindet den Text mit Eindrücken aus dem Atelier, der Sammlung und vom Anwesen der Künstlerin, das in Hamburg-Harburg, am südlichsten Ende der Hansestadt, zu finden ist. Dank an die Hanne Darboven Stiftung für die Möglichkeit der Veröffentlichung.

Vortrag von Prof. Dr. Ulrike Steierwald mit Lesung von Maria Hartmann
Eine Veranstaltung der Staatsbibliothek Berlin. Preußischer Kulturbesitz
4. Juli 2024, 19 Uhr, Theodor-Fontane-Saal, Unter den Linden 8, 10117 Berlin

„Europäischer als alle anderen Gasthöfe des Ostens scheint mir das Hotel Savoy …“. Nur wenige Jahre vor dem Erscheinen des Hotel Savoy (1924) steht der Protagonist und Ich-Erzähler des Romans in Łódź vor dieser in sieben Stockwerken sich auftürmenden Stätte europäischer Kultur. Gabriel Dan ist einer der bis zu acht Millionen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges, den die Bezeichnung „Heimkehrer“ und das hegemoniale Selbstverständnis der europäischen Zivilisation wie blanker Hohn treffen müssen. Denn das Hotel wie die Stadt erweisen sich als eine immerwährende Durchgangsstation, als ein prekärer Schauplatz, auf dem die Gesellschaft der sogenannten Zwischenkriegszeit in der Dramaturgie eines Stationendramas vor Augen geführt wird. Gewalt – Diskriminierung, Ausbeutung, Prostitution, autokratisches Machtgehabe und militärische Eskalation – erscheint allgegenwärtig, verdichtet und bricht sich schließlich „wie ein Tier“ in den Flammen, im Feuerbrand des Hotels, Bahn. 2024 kann dieser in der Frankfurter Zeitung erschienene Gegenwarts- wie Fortsetzungsroman tatsächlich „druckfrisch“ gelesen werden: Denn Geschichte und Gegenwart des Krieges lassen sich – wie 1924 – nicht auf einen Anfang, ein Ende oder ein Dazwischen terminieren, sondern sind auf ein Inmitten (Karl Löwith) hin zu betrachten.

Kulturakademie der Studienstiftung, 3. -10. September 2023, Weimar
(Ulrike Steierwald / Lilian Robl)

„Besonders schwer / wiegen Gedichte nicht. / Solange der Tennisball steigt, / ist er, glaube ich, leichter als Luft.“ Mit der poetischen Ironie und Leichtigkeit einer konkreten, geerdeten Sicht auf die materiell-physische Konditionierung der Lyrik spielt Hans Magnus Enzensberger in seinem Gedicht „Leichter als Luft“ auf eine mit den ätherischen Himmelssphären (griech., αἴθειν: brennen, leuchten) verbundene Geschichte des transzendentalen Denkens und eines „hinan“ ziehenden Überwindungsgestus der Künste an. Dabei können die im wahrsten Sinne des Wortes durchsichtigen Sprachbilder des Lichts und des klaren Himmels auf eine Fülle antiker Entwürfe und spannungsvoller, kontroverser Weltbeschreibungen in der Frühen Neuzeit zurückgreifen, die in keiner Weise transzendierend mit der Möglichkeit einer Immaterialität argumentieren. Sie stehen zwar im Kontrast zur Entwicklung der mechanistischen, experimentell wie analytisch verfahrenden Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts, die das Gasförmige als handhabbare Masse verwertbar zu machen wussten, wirken jedoch in den Künsten wie in den entstehenden Geisteswissenschaften weiter. Die Verfügungen über die Luft und das Atmen in den ökonomischen, sozialpolitischen und militärischen Prozessen der Moderne erfordern in den Künsten und Kulturwissenschaften der Gegenwart wiederum andere, kritische Positionen jenseits anthropozentrischer, instrumenteller oder esoterischer Erklärungsmuster.

Unsere Arbeit an der Kulturgeschichte des Flüchtigen (von den Mythen der Antike bis zur Gegenwart) zielt darauf, die energetische wie materielle „Quintessenz“ in den Phänomenen des Atmens und Erstickens, des Fliegens und Fallens, des Lichtes und der Dunkelheit in den Blick zu nehmen und sie unter künstlerischen wie wissenschaftlich-transdisziplinären Fragestellungen auszuloten.

Poetische Qualität und erschütternder Realismus verknüpfen Ulrike Draesners „Die Verwandelten“ mit Ovids sprachlichen Metamorphosen der Gewalterfahrung.

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Joseph Roths Roman „Die Rebellion“ (1924) und die Traumata des Krieges

In: literaturkritik.de, Nr. 3, März 2022, Schwerpunkt II: Krieg und Frieden

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„You Begin“, aus: Margaret Atwood: Die Füchsin. Gedichte 1965-1995, hrsg. von Michael Krüger. München/Berlin: Berlin Verlag 2020. Übersetzung von Monika Rinck. In der Reihe „10 Minuten Lyrik“, Leuphana Universität Lüneburg 2022.

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Der Lorbeerkranz – er scheint untrügliches Zeichen eines zu feiernden Sieges. Der transitorische Akt vegetabiler Bekränzung ist seit der griechischen Antike Bestandteil der Festkultur. Jedoch ist jede Verleihung bei aller befestigenden Ehrung zugleich Geste der Überwindung fester Grenzen (bei Toten-, Hochzeits- wie Siegesfeiern) und wird damit zu einem in der europäischen Geschichte wirkmächtigen ambivalenten Sprachbild. In ihrer repräsentativen Zeichenhaftigkeit allein sind die Lorbeer-Ehren nicht zu fassen. In mythologisch-literarischer Tradition erscheinen sie vielmehr in der materiellen Verschränkung von Form und Transformation auch als eine Figuration der Flüchtigkeit. Ihren Formen und Transformationen geht dieser Essay nach.  Zu lesen >>>

Politik und Literatur in der virtualisierten Gesellschaft.

9. November 2021, Literaturhaus Hamburg. Zu Gast: Regula Venske, Özlem Özgül Dündar, Petra Morsbach sowie Rainer Moritz und Ulrike Steierwald

Die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Politik ist so alt wie die Entstehung der Künste im Zeichen der »Polis«, der Öffentlichkeit. Und doch hat diese konfliktreiche wie fruchtbare Beziehungsgeschichte in den letzten Jahren eine neue Qualität und Brisanz angenommen. Der vielgescholtene Elfenbeinturm interessiert uns kaum noch. Sichtbarkeit, Publikation und damit Wahrnehmbarkeit – und sei es als »Turm« – sind grundlegende Parameter der Künste. Sie entlassen auch die Dichtung nicht aus der Frage nach ihrer Verantwortung, die zwar nicht als politisch bezeichnet werden müsste, aber ebenso wenig unpolitisch genannt werden kann.

Doch wie sind Sichtbarkeit und Dunkel in einer globalisierten, digital vernetzten Welt definiert? Regime der Unterdrückung, des Machtmissbrauchs und der Vernichtung sind in den Grenzauflösungen von öffentlichem und privatem Raum heute schwer zu lokalisieren. Die medial inszenierte Ereignishaftigkeit von Katastrophen, die uns – scheinbar »über Nacht« –  mit Zerstörung und Gewalt konfrontiert, führt nicht nur in »sozialen« Netzwerken zu ratloser Meinungsproduktion und Verschwörungsängsten. Können literarische, fiktionale Texte hier eine eigene Sprache entgegensetzen, die der Sichtbarmachung wirklicher und wirkmächtiger Prozesse dient? Wie sensibilisieren sie für Fake, Fakt und Fiktion? Und sind die Kritikpotenziale des Möglichkeitsdenkens und eines kulturhistorischen, sprachlichen Bewusstseins »freier« Schriftsteller:innen heute überhaupt noch freizusetzen?

Über diese und andere Fragen sprechen:

Özlem Özgül Dündar, Freie Schriftstellerin
Rainer Moritz, Schriftsteller, Literaturwissenschaftler, Leiter des Literaturhauses Hamburg
Petra Morsbach, Freie Schriftstellerin
Ulrike Steierwald, Literaturwissenschaftlerin, Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg
Regula Venske, Freie Schriftstellerin, Präsidentin des deutschen PEN

Dienstag, 9. November 2021, 19.00 Uhr, Eintritt: € 12,–/8,–
Ort: Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38, 22087 Hamburg
Ein Podiumsgespräch in der Veranstaltungsreihe SCHÄTZE in Kooperation mit

Projekt »Thesaurus der Sprachbildlichkeit«
www.sprachbildfahrzeuge.org

Ulrike Draesner, Ulrike Steierwald und Aris Fioretos über Bewegungen im „Dazwischen“ in der Reihe „Übersetzen! Das Schreiber-Sofa im Bücherkubus“, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Klassik Stiftung Weimar.

In Vergils sechstem Gesang der Aeneis begegnen wir Charon, dem Fährmann und Übersetzer ins Totenreich. Ein grimmiger, schmutzig-struppige

r Greis, der stumme, glühende Blicke schleudert. Eigentlich kein Typ, dem man seine Seele für die Überfahrt, für den Raum des Dazwischen, anvertrauen möchte. Und dennoch drängen die Schatten der noch nicht begrabenen Toten heran, um endlich dem Ufer der Lebenden zu entfliehen. In allen Kulturen wird zur Vorbereitung dieser Schwellensituation ökonomische Vorsorge betrieben, sei es in Form der Münze, die den Toten für den widerborstigen Fährmann als Tribut unter die Zunge gelegt wird, sei es durch Testamente für die sogenannte Nach-Welt oder das Gebet.

Im Mythos hingegen und in der in seiner Tradition und Transformation stehenden Literatur wird die Sprache zu einem wirkmächtigen Faustpfand fürs prekäre Zwischenreich. Die Literatur holt den guten alten Fährmann schon zu Lebzeiten in der unendlichen Spannweite zwischen Himmel und Abgrund, Ufer und Ufer ein. Denn Sprache ist Disponierung, ein Sich-ins-Verhältnis-Setzen vom einen zum anderen. Und sicherlich zählen das Schwimmen und Fliegen zu den schönsten wie gefährlichsten der zahllosen poetischen Aufholbewegungen in dieser Zwischenposition. Besonders spannend wird es, wenn sich die Dichter*innen selbst der Übersetzung des Übersetzens, also der literarischen Übersetzung aus der anderen in die eigene und der eigenen in die andere Sprache, widmen.

Drei Expert/innen fürs Schwimmen und Fliegen sprachen über Höhenflüge und Abstürze, Luftschlösser und versunkene Länder, das Sterben und die Kunst des Übersetzens.

30. Oktober 2021, 18.00 Uhr, in Präsenz!
Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Klassik Stiftung, Studienzentrum

Platz der Demokratie 4
99423 Weimar
Deutschland