Die Private Sammlung:
Zeitgenössische Literatur zwischen Kontextualisierung und Vereinzelung
Walter Benjamins Reflexion „Ich packe meine Bibliothek aus“ beschreibt nicht nur die jeder Sammlung eigene Dialektik der Selektion und Zusammenfügung von Texten, sondern – in Analogie – auch das Wechselspiel von Vereinzelung und Kontextualisierung im Gestus des Schreibens selbst. Im Moment des Auspackens, in dem sich die private, zusammengefügte Ordnung der Bibliothek im paradoxen Zustand eines Umzugs, einer Reise oder des Exils –jedenfalls im Modus der Mobilität und des Vorläufigen befindet – manifestieren sich an der in einem neuen Kontext wahrgenommenen Materialität der Bücher auch neu reflektierte und erzählte Erinnerungen und Geschichten. Dabei schafft der private Raum, der trotz Mobilität und Vorläufigkeit durch die Erinnerung an die Aneignungsgeschichten der Bücher entsteht, eine andere gedankliche Ordnung, in der ein eigenes Sprechen und Schreiben beginnen kann.
Der Vortrag analysierte Mobilität und Virtualisierung als Konditionierungen und Gelingensbedingungen der zeitgenössischen Literatur. Sie stehen nur scheinbar im Gegensatz zum Raum der Sammlung in deren Materialität, sondern machen vielmehr die in Benjamins „Ich packe meine Bibliothek aus“ sichtbar werdende Dialektik von Kontextualisierung und Kontextflucht – Öffentlichkeit und Vereinzelung – deutlich. Es zeigt sich, dass auch in den Schreibverfahren der Gegenwart die Spannung zwischen intertextuellen Verweisungen im Sinne der Sammlung und einer ubiquitären Ästhetisierung der Lebenswelten offen bleibt.
Ort / Zeit: Autorschaft und Bibliothek: Sammlungsstrategien und Schreibverfahren, Internationale Tagung, Klassik Stiftung Weimar, 8. bis 10. November 2016 Mehr >>