„You Begin“, aus: Margaret Atwood: Die Füchsin. Gedichte 1965-1995, hrsg. von Michael Krüger. München/Berlin: Berlin Verlag 2020. Übersetzung von Monika Rinck. In der Reihe „10 Minuten Lyrik“, Leuphana Universität Lüneburg 2022.
Politik und Literatur in der virtualisierten Gesellschaft.
9. November 2021, Literaturhaus Hamburg. Zu Gast: Regula Venske, Özlem Özgül Dündar, Petra Morsbach sowie Rainer Moritz und Ulrike Steierwald
Die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Politik ist so alt wie die Entstehung der Künste im Zeichen der »Polis«, der Öffentlichkeit. Und doch hat diese konfliktreiche wie fruchtbare Beziehungsgeschichte in den letzten Jahren eine neue Qualität und Brisanz angenommen. Der vielgescholtene Elfenbeinturm interessiert uns kaum noch. Sichtbarkeit, Publikation und damit Wahrnehmbarkeit – und sei es als »Turm« – sind grundlegende Parameter der Künste. Sie entlassen auch die Dichtung nicht aus der Frage nach ihrer Verantwortung, die zwar nicht als politisch bezeichnet werden müsste, aber ebenso wenig unpolitisch genannt werden kann.
Doch wie sind Sichtbarkeit und Dunkel in einer globalisierten, digital vernetzten Welt definiert? Regime der Unterdrückung, des Machtmissbrauchs und der Vernichtung sind in den Grenzauflösungen von öffentlichem und privatem Raum heute schwer zu lokalisieren. Die medial inszenierte Ereignishaftigkeit von Katastrophen, die uns – scheinbar »über Nacht« – mit Zerstörung und Gewalt konfrontiert, führt nicht nur in »sozialen« Netzwerken zu ratloser Meinungsproduktion und Verschwörungsängsten. Können literarische, fiktionale Texte hier eine eigene Sprache entgegensetzen, die der Sichtbarmachung wirklicher und wirkmächtiger Prozesse dient? Wie sensibilisieren sie für Fake, Fakt und Fiktion? Und sind die Kritikpotenziale des Möglichkeitsdenkens und eines kulturhistorischen, sprachlichen Bewusstseins »freier« Schriftsteller:innen heute überhaupt noch freizusetzen?
Über diese und andere Fragen sprechen:
Özlem Özgül Dündar, Freie Schriftstellerin
Rainer Moritz, Schriftsteller, Literaturwissenschaftler, Leiter des Literaturhauses Hamburg
Petra Morsbach, Freie Schriftstellerin
Ulrike Steierwald, Literaturwissenschaftlerin, Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg
Regula Venske, Freie Schriftstellerin, Präsidentin des deutschen PEN
Dienstag, 9. November 2021, 19.00 Uhr, Eintritt: € 12,–/8,–
Ort: Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38, 22087 Hamburg
Tickets unter www.literaturhaus-hamburg.de/programm/veranstaltungen
Ein Podiumsgespräch in der Veranstaltungsreihe SCHÄTZE in Kooperation mit
Projekt »Thesaurus der Sprachbildlichkeit«
www.sprachbildfahrzeuge.org
Ulrike Draesner, Ulrike Steierwald und Aris Fioretos über Bewegungen im „Dazwischen“ in der Reihe „Übersetzen! Das Schreiber-Sofa im Bücherkubus“, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Klassik Stiftung Weimar.
In Vergils sechstem Gesang der Aeneis begegnen wir Charon, dem Fährmann und Übersetzer ins Totenreich. Ein grimmiger, schmutzig-struppige
r Greis, der stumme, glühende Blicke schleudert. Eigentlich kein Typ, dem man seine Seele für die Überfahrt, für den Raum des Dazwischen, anvertrauen möchte. Und dennoch drängen die Schatten der noch nicht begrabenen Toten heran, um endlich dem Ufer der Lebenden zu entfliehen. In allen Kulturen wird zur Vorbereitung dieser Schwellensituation ökonomische Vorsorge betrieben, sei es in Form der Münze, die den Toten für den widerborstigen Fährmann als Tribut unter die Zunge gelegt wird, sei es durch Testamente für die sogenannte Nach-Welt oder das Gebet.
Im Mythos hingegen und in der in seiner Tradition und Transformation stehenden Literatur wird die Sprache zu einem wirkmächtigen Faustpfand fürs prekäre Zwischenreich. Die Literatur holt den guten alten Fährmann schon zu Lebzeiten in der unendlichen Spannweite zwischen Himmel und Abgrund, Ufer und Ufer ein. Denn Sprache ist Disponierung, ein Sich-ins-Verhältnis-Setzen vom einen zum anderen. Und sicherlich zählen das Schwimmen und Fliegen zu den schönsten wie gefährlichsten der zahllosen poetischen Aufholbewegungen in dieser Zwischenposition. Besonders spannend wird es, wenn sich die Dichter*innen selbst der Übersetzung des Übersetzens, also der literarischen Übersetzung aus der anderen in die eigene und der eigenen in die andere Sprache, widmen.
Drei Expert/innen fürs Schwimmen und Fliegen sprachen über Höhenflüge und Abstürze, Luftschlösser und versunkene Länder, das Sterben und die Kunst des Übersetzens.
30. Oktober 2021, 18.00 Uhr, in Präsenz!
Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Klassik Stiftung, Studienzentrum
Platz der Demokratie 4
99423 Weimar
Deutschland
Aggregationen der Sprachbildlichkeit:
Öffentliches Kolloquium in Weimar, 29. und 30. Oktober 2021 in Präsenz.
Nichts scheint eloquenter als das „Buch der Natur“. Doch erschließt es sich in den Kulturen seit Jahrhunderten in unendlich vielfältigen Lesarten. Feuer, Erde, Luft und Wasser sind Topoi für das Beginnen einer Naturgeschichte der Welt und des sich erzählend und gestaltend zu ihr verhaltenden Menschen. Dabei finden wir eine Bildsprache des Lebendigen in allen vorstellbaren Variationen wieder. Die Aggregatzustände des Elementaren sind keine identitären Einheiten oder Substanzen, sondern energetische Verbindungen. Sie sind von Chaos wie Ordnung bestimmt. Diese Dynamik und Energie, die in der unendlichen Spanne zwischen extremer Verdichtung und maximaler Zerstreuung liegen, zeichnen auch die Sprache selbst aus.
Die Tagung eröffnet künstlerische, literarische und wissenschaftlich-transdisziplinäre Perspektiven, um die Unermesslichkeit des Festen, Flüssigen, Plasmatischen und Flüchtigen auszuloten und den entsprechenden sprachlichen „Handlungsspielraum“ der Natur aufzufächern (Projekt Thesaurus, www.sprachbildfahrzeuge.org). Es geht um die Wahrnehmungs- und Interaktionsweisen von Mensch und Natur, die nicht zuletzt ethische und gesellschaftspolitische Fragen aufbrechen lassen.
Im Gespräch sind dreizehn Autor/innen, Künstler/innen und Wissenschaftler/innen. Die Beiträge handeln von zerbrochenen Spiegeln, handfesten Inspirationen, von Textflüssen, dem Atem der Stimme oder von Flüchtigkeit und Schwere im Universum:
Freitag, 29. Oktober 2021
10.30-12.30
Re-Thesaurierungen der Natur
Ulrike Steierwald (Lüneburg): Aggregationen der Sprachbildlichkeit
Sonja Zeman (München): Spiegelbilder – Sprachliche Isomorphien
Wolfgang Kemp (Hamburg / Lüneburg): Cento, Theatrum, Essays – Aggregate vor und nach 1600
13.30-15.30
fest
Ulrike Draesner (Berlin / Leipzig): Der/die/das Fest
Marion Steinicke (Koblenz) & Heinz Georg Held (Pavia): Handfeste Inspirationen. Ikonen, Narrationen, Aggregate
Reinhard Laube (Weimar): Die Natur der Sammlungen
16.00-17.30
plasmatisch
Monika Rinck (Wien / Berlin): Die hirschbesiedelnde Rachendassel
Yvonne Förster (Lüneburg): Technē – Plasmatisches Trasformationsgeschehen
18.00 Abendveranstaltung
The Making of a Thesaurus: Vorstellung einer neuen Art, die Sprache beim Wort und die Vorstellung beim Bild zu nehmen – frei nach Gottfried Wilhelm Leibniz‘ „Drôle de Pensée, touchant une nouvelle sorte de représentations“:
Wir greifen Leibniz‘ Gedankenscherz aus dem Jahr 1675 auf, in dem er eine Inszenierung sämtlicher möglicher Erfindungen entwarf, und zeigen 13 Kurz-Performances mit Proben zu Festem, Flüssigem, Plasmatischem und Flüchtigem.
Samstag, 30. Oktober 2021
9.00-10.30
flüssig
Aris Fioretos (Stockholm / Berlin): Wasser im Wasser
Andrea Polaschegg (Siegen): Textflüsse
11.00-12.30
flüchtig
Christine Gruber (Linz): Konzepte der Flüchtigkeit und Schwere im Universum
Lilian Robl (München): Atem – Stimme – Wort
13.30-15.30 (nicht öffentlich)
Aggregationen – Modelle – Sprachbildliche Modellierung
Zusammenfassung der Thesaurus -Tagung und Ausblick mit allen Referent/innen
Näheres zum Programm und den Referent/innen: >>Programmheft
Ort: Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek
Platz der Demokratie 4
99423 Weimar
Deutschland
Gefördert durch die Fritz Thyssen Stiftung
Konzeption und Leitung: Ulrike Steierwald
Die Veranstaltung findet in Präsenz statt. Wir bitten um Anmeldung unter: nina.pries@leuphana.de
Sammlungen und ihre (Re-)Präsentation zwischen Weltentwurf und Fetischisierung.
Podiumsgespräch in Kooperation mit dem Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK), Hamburg, Mi, 14. Oktober 2020, 19.00 Uhr > Unter optimalen Sicherheitsvorkehrungen wurde im ausgebuchten Hörsaal des Museums nicht zuletzt der unschätzbare Wert einer gesellschaftlichen Präsenz von Wissenschaft und Künsten deutlich. Ergo: Wir planen weiter!
Es diskutierten: Wolfgang Kemp (Kunsthistoriker) und Ulrike Steierwald (Literaturwissenschaftlerin) mit Reinhard Laube, Historiker und Direktor der HAAB, Klassik Stiftung Weimar / Barbara Plankensteiner, Sozialanthropologin und Direktorin des MARKK Hamburg / Bernd Scherer, Philosoph und Intendant des Hauses der Kulturen der Welt, Berlin.
Zum Thema:
Schätze scheinen repräsentative Zeichen der Macht. Mythologisch besaßen sie jedoch jenseits der Repräsentation einen ungeheuren Wert. Die Wertschätzung der in Riten und Kulte eingebundenen (An)Sammlungen von Dingen war weder zu bemessen noch instrumentell zu begründen oder ökonomisch zu verwerten. Was heute in Sammlungen und Ausstellungen als im übertragenen Sinne kulturelle »Schätze« tradiert wird, umfasst auch Alltagsgerät, Kriegswaffen oder ehemalige per sönliche Besitzstücke. Koloniale Expansion und ein neuzeitlich europäisches Kunstverständnis führten im 19. Jahrhundert in Museen, Archiven und Bibliotheken zu Ein- wie Zurichtungen solcher »Schätze«. Diese Institutionen zielten auf Mehrwertgenerierung – sei es durch Repräsentation staatlicher Macht, wissenschaftliche Auswertungen oder Bildungsziele – und trugen damit maßgeblich auch zu radikalen Veränderungen von Kulturen bei.
treasure / erasure: Die Gleichzeitigkeit von Aneignung, Sammlung, Tradition und Zerstörung ist heutigen öffentlichen Institutionen, die für eine Sichtbarmachung der »Künste und Kulturen der Welt« Verantwortung tragen, bewusst. An der Erschließung der Provenienzen, der individuellen Geschichten wie der Geschichtlichkeit von Sammlungen wird an vielen Stellen gearbeitet. Aber was sind die konkreten Konsequenzen in den neuen Konzeptionen dekolonialen Denkens, für weitere Ergänzungen oder Verminderungen der Sammlungen oder für öffentlichkeitswirksame Veranstaltungsprogramme? Zu fragen ist auch, ob und wie eine andere Begriffs- und Kulturgeschichte des »Schatzes« und der »Welt« zur Klärung beitragen können.
Erste Veranstaltung in der Reihe SCHÄTZE, Projekt »Thesaurus der Sprachbildlichkeit«
In der Reihe „Konstellationen“ der Klassik Stiftung Weimar: Vortrag über die Profilbildung von historischen Sammlungen unter dem Aspekt der Paradoxie offener Systeme. Das Kurzinterview im Anschluss des Vortrags (Reinhard Laube, Herzogin Anna Amalia Bibliothek) als Video : > Video
– so war das initiierende Kolloquium für ein Projekt überschrieben, das 2018 im neuen Zentralgebäude der Leuphana Universität (Libeskind) seinen Anfang nahm. Ziel dieses Künste und Wissenschaften transdisziplinär zusammenführenden Projektes ist ein digitaler „Thesaurus literarischer Sprachfiguren und Bildbegriffe“, ein polydimensionales Universalmodell der sprachlichen Möglichkeitsräume der Kunst.
Teilnehmer/innen der ersten offenen Runde waren Nora Gomringer, Felicitas Hoppe, Noémi Kiss, Lilian Robl sowie Wolfgang Kemp (Kunstgeschichte), Yvonne Förster (Philosophie), Gerhard Lauer (Digital Humanities), Barbara Naumann (Literaturwissenschaft), Ruth Neubauer-Petzoldt (Literaturwissenschaft), Eveline Goodman-Thau (Jüdische Religions- und Geistesgeschichte), Achatz von Müller (Geschichte) und Ulrike Steierwald (Literaturwissenschaft). Die folgende audiovisuelle Dokumentation in 16 Teilen ist nicht nur eine Einführung in das Projekt, sondern auch eine vielstimmige Modulation des Bildbegriffs HERZ und seiner Figurationen, in deren dynamischen wie polyvalenten Bestimmungen sich bereits exemplarisch erste Realisierungsmöglichkeiten eines Thesaurus – d.h. eines „Schatzhauses“ – sämtlicher Figurationen und Bildbegriffe in deutscher Sprache abzeichnen.
Die Definitionen Europas in ihrer Relation zum Begriff der Migration sind von voraussetzungsvollen historischen wie aktuellen Identitätskonstruktionen abhängig. Die Bestimmungen des „Eigenen“ und „Fremden“ durch räumliche Grenzziehungen prägen zu Beginn des 21. Jahrhunderts weniger nationale Konzepte, sie sind vielmehr in den diversen Argumentationsmustern des Europa-Diskurses virulent. In den sich auffällig lokal bzw. regional formierenden Protestbewegungen gegen Migration wie Globalisierung spielt die dezidiert gegen “außereuropäische Kulturen“ gerichtete Aggression eine zentrale Rolle. Aber auch in der Grenzsicherung der Europäischen Union und in der Verurteilung islamistischer Terroranschläge und Gewalt wurde und wird auf eine „kulturelle“ europäische Identität im Sinne universalistisch wirksamer Wertsetzungen der europäischen Aufklärung – Demokratie, Toleranz, Selbstbestimmung, Ökonomie – rekurriert. Diese sind weiterhin auf ein räumlich verankertes Selbstverständnis angewiesen.
Angesichts der aktuellen Offenlegung einer mangelnden Einheit und Identität Europas brechen nur scheinbar Konnex und Verankerung des Wiedererkennbaren und Identischen in nationalen, regionalen wie auch kontinentalen Kollektivierungsmustern zusammen. Der hegemoniale Gestus der Selbst-Ermächtigung und Selbst-Bestätigung gegen die aus dem „außereuropäischen“ Raum Fliehenden legitimiert sich zunehmend über den Kultur-Begriff selbst – eine Entwicklung, zu der sich die nach ihm benennenden (Kultur-)Wissenschaften verhalten müssen. Während „Europa“ in seiner affirmativen, identitätsstiftenden Zuschreibung wieder an Wert verliert, wird der Kultur-Begriff im aktuellen politischen Diskurs präsenter. Dabei geht es jedoch weiterhin um räumliche Verankerungen der jeweiligen Identifikation, sei es in Sprache, Kollektivierung, Erinnerung oder emotionaler Bindung.
Migration und Europa in kulturwissenschaftlicher Perspektive
Zweite Jahrestagung der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft (KWG)
6. bis 8. Oktober 2016 an der Universität Vechta
Panel: Übersetzte Figurationen. Räumliche Entwürfe europäischer „Kultur“ (Leitung: Ulrike Steierwald)
Siehe auch: Transiträume der Flucht auf www.literaturkritik.de
und
Ulrike Steierwald, « Europa – Heimat als Groteske », Germanica [En ligne], 56 | 2015, mis en ligne le 30 septembre 2017, consulté le 24 août 2019. URL : http://journals.openedition.org/germanica/2903
JOHANN GEORG KEYSSLERS NEUESTE REISEN (1740)
„Ehe der Rhein zu seinem sehr steilen Schuß kommt, ragen hin und wieder viele Felsen aus dem Grunde hervor. Beym Falle selbst theilt er sich in drey Flüsse, welche durch ihren grünen Grund und ihr schneeweißes Strudeln dem Zuschauer eine angenehme Augenweide, hingegen durch das Brausen seinem Gemühte sowol Bewunderung als Entsetzen verursachen.“ – Nein, diese Passage über den Rheinfall bei Schaffhausen ist kein Ausschnitt aus Wilhelm Heinses vielzitierter Beschreibung in seinem Reisetagebuch von 1780, sondern entwirft eine theatrale Szenerie aus den vierzig Jahre zuvor erschienenen Neuesten Reisen von Johann Georg Keyßler. Diese im 18. Jahrhundert meist rezipierte Reisebeschreibung „durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen“ entspricht nicht den durch die Literaturwissenschaft konstruierten gattungspoetologischen Standards. Literaturgeschichtlich werden Anschaulichkeit und narrative Vergegenwärtigungen von Rekonstruktionen reisend erfahrener Räume erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verortet. Die seit der Jahrhundertmitte expandierende, umfangreiche Reiseliteratur-Produktion im Geiste der bürgerlichen Bildungsreise verführte dazu, das frühe 18. Jahrhundert und damit die Entstehungszeit der Keyßlerschen Reisen gattungspoetisch als „Vorgeschichte“ des literarisierten Reisens im engeren Sinne und damit auch den Text als nicht literarisch zu betrachten. Als Lehrer und Begleiter auf der aristokratischen Grand Tour vollzieht Keyßler zwar keine „literarische Reise“ im Sinne der bürgerlichen Individuation des Bildungsromans. Aber wie in keinem anderen Bericht dieser Zeit kann hier das vom Modus des Reisens ausgehende Denken der Erzählung, des Entwurfs, der räumlichen Bewegung nachvollzogen werden, das erst viel später – an der vielbeschriebenen Epochenschwelle um 1800 – zum Konstrukt sinnlicher, individueller Erfahrung werden wird.
Ulrike Steierwald:
Bewegte Betrachtung. Zur Literarisierung des Reisens. Vortrag auf dem 25. Germanistentag 2016, 25.-28. September 2016, Bayreuth / Panel: Erfahren, erspüren, empfinden: Techniken der sensuellen Vergegenwärtigung in der Reiseliteratur.
Erschienen in:
Keyßlers Welt. Europa auf Grand Tour, hrsg. von Achatz von Müller, u.a.. Göttingen: Wallstein 2018, S. 229-254.
Vortrag auf der Tagung „Bewegende Körper – Bodies in Motion“
3. Jahrestagung der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft
Veröffentlichung:
Against Metaphor – Against Interpretation: Widerständige Sprachfiguren der Verkörperung. In:Literatur in der Medienkonkurrenz: Medientranspositionen 1800 -1900 – 2000. Dörr, V. & Goebel, R. J. (Hrsg.). Bielefeld: Aisthesis Verlag 2018
Widerständige Körper
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